Emotionslos?

Einige von Euch wissen, daß ich die letzten beiden Wochen Besuch von meiner Mum habe. Morgen fährt sie wieder nach Hause. Sie brachte ihren alten Fotoapparat mit, inkl. einem alten, 36-er Film drin. Darauf befanden sich die letzten Bilder von meinem Dad, ehe er gestorben ist. Das ist nun fast 2 Jahre her.

Als es passiert war, war es für uns alle ein Riesenschock. Ich als typisches Vatertöchterchen war komplett fertig mit der Welt. Auch wenn wir nicht immer gleicher Meinung waren und er sehr, sehr streng war, brach für mich ein Stück heile Welt zusammen.

Worauf ich letztlich hinaus möchte, ich habe den Film letzte Woche zum Entwickeln gebracht und ihn vorhin abgeholt. Meine Mum wartete ungeduldig, bis ich ihr die Bilder bringe, doch ich wollte mir alle in Ruhe anschauen. Alleine. So stand ich vorhin am Tresen des Photo-Shops und packte die Bilder aus. Bild für Bild schaute ich mir an, die Augen füllten sich mit Tränen und sie kullerten auch, als ich sein schmerzverzerrtes, von Medikamenten aufgedunsenes Gesicht betrachtete. Damals, zwei Tage vor seinem Tod rief er mich an und meinte nur: „Fröschchen, ich kann nicht mehr!“ Mir war klar, es war ein Abschied. Für immer.

Als ich die Bilder wieder in das Kuvert packte und ins Auto stieg, übermannten mich die Emotionen. Laut heulend musste ich mir den Druck von der Seele nehmen. Die Autofahrt dauerte keine fünf Minuten, bis ich zu Hause ankam. Meine Mum schaute mich ergriffen an, sie sah meine roten, verweinten Augen und wußte gleich Bescheid. Ich überreichte ihr das Kuvert und sie verschwand damit ins Wohnzimmer.Ich wußte, daß diese Situation an ihre nervlichen Grenzen gehen würde und bei mir switchte in  diesem Moment auch wieder die „Kälte“ um.  Ich konnte nicht zu ihr, sie in den Arm nehmen, trösten. Sie muss selbst damit fertig werden, wenn sich sich freiwillig damit konfrontiert. Cool bleiben, den eigenen Schmerz verdrängen. Selbstschutz? Keine Ahnung, bin keine Psychologin….

Das tat ich. Wie auf der Beerdigung damals. Ich war die Organisatorin ohne Gefühle, die dann zusammenbrach, als die Lichter aus waren, das Publikum weg und die Show vorbei. Mit Gefühllosigkeit hat das nichts zu tun. Definitiv nicht!

23 Antworten auf „Emotionslos?“

  1. Das ist schon 2 Jahre her?! Wie die Zeit rennt, unglaublich, ich habe es doch „eben“ hier gelesen …

    Das ist Selbstschutz, Du kannst froh sein, dass Du diesen hast und dass er Dich beschützt. Du kannst Trauer empfinden, aber eben nur für Dich selbst, bzw. vor wenigen Menschen, die „es verdient“ haben. Das mag komisch klingen, aber Du vertraust Dich ja auch nicht jedem Menschen an.

    Alles ist gut.
    Hast Du denn ein Bild behalten?

  2. @lauffrau: ich denke, hinter vorgehaltener hand schon.

    @broken: manchmal gibt es situationen, da MUSS man funktionieren.

    @fr. eiskalt: aber immer schauen, dass auch nen ausgleich hast um nicht daran zu zerbrechen!

    @meg: jep, ende mai sind es zwei jahre, bilder nimmt sie mit, aber die negative behalte ich. deine erklärung ist wirklich gut.

  3. Mein Dad ist vor 3 Jahren einfach so gestorben. Ich weiß was du meinst. Ich musste mich auch um Beerdigung und alles was drum herum war kümmern, da war keine Zeit und kein Platz für Emotionen. Die kamen danach – und das war auch ganz gut so. Auch wenn es doof klingt, aber einer muss einen kühlen Kopf bewahren, den es soll ja alles richtig laufen…

  4. Hase, jedes Wort was du hier geschrieben hast, platz vor Emotionen. Das kann jeder lesen und verstehen.
    Von Emotionslosigkeit kann weder bei dir, noch bei deiner Mutter die Rede sein. Auch wenn ich deine Mutter nicht kenne, aber ihr seid beide offensichtlich sehr starke Frauen, die „gewohnt“ sind sich zusammen zu reissen und das heisst noch lange nicht, dass ihr keine Gefühle habt oder zeigt…
    (K)

  5. Ich schließe mich Spanky und auch Desert an. Erstens ist es Selbstschutz, und zweitens MUSS man ja irgendwie und irgendwann auch weitermachen. Das hat nichts mit Emotionslosigkeit zu tun, ich bin da genauso. Ich kann Trauer auch vor fast keinem anderen Menschen zeigen, egal, wie nahe er mir steht. Fällt mir unheimlich schwer.

    Außerdem – alleine dieser Post zegt doch schon, daß du alles andere als emotionslos bist 🙂

  6. Ich kann das komplett nachvollziehen. Hab das so ähnlich auch hinter mir, ist aber jetzt fast genau 10 Jahre her…
    Manchmal übermannt es einen einfach. Und das ist auch gut so. Man merkt, dass das alles immernoch an einem nagt. Man merkt, dass man am Leben ist.
    Und auf keinen Fall emotionslos.

  7. @spanksen: *seufz* danke!

    @desert: na, dann kennst du das ja. aber du bist nen mann, da erwartet man den kühlen kopf ja. von uns weibern erwartet man gerade in meinem heimatland meist dramen. und das kann ich nicht.

    @sabine: hmm… starke frauen… so ne sache…

    @danimateur: nö. sicher nicht. also den text zeigen.

    @judy: ja, im nachhinein geht das. aber „vor ort“, in dem moment, das geht nicht. und gerade dann ist die erwartungshaltung anderer so groß. naja, deren pech!

    @ruediger: wohl wahr!

    @smikey: memorieeeeesss…….

  8. Du bist wie ich. Es können die größten Katastrophen passieren … ich bin kalt wie Hundeschnauze, helfe, regle und organisiere alles, behalte einen klaren Kopf. Aber wehe, alles ist erledigt! Dann kannst du mich vergessen, dann klappe ich zusammen und verkrieche mich in die dunkelste Ecke und lecke meine Wunden.

    Es gibt nur wenige Menschen, die mich schon weinen gesehen haben. Ich glaube, Meg hat es ganz treffend erkannt und formuliert.

    Ich drück‘ dich!

  9. Diese „Kälte“ nach aussen hin ist nichts anderes als der Versuch, Normalität zu wahren. Dafür ist jede Ablenkung recht, was sonst „Alltag“ ist. Solange du auf Trab bist, also organisierst, betreust etc., solange bist du abgelenkt von deinen eigenen Schmerzen.
    Das funktioniert eben nur so lange, bis du zur Ruhe kommst. Dann kommt alles mit Macht zurück, was bis dahin ebenso machtvoll zurückgedrängt worden ist. Aus Erfahrung weiss ich, dass das nichts bringt, das Zusammenklappen kommt früher oder später, aber es kommt.
    Zum Teil trägt aber auch unsere „Kultur“ mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Leid bei. Sprüche wie „Das wird schon wieder“, „Reiß dich zusammen“, „Nun hast du dich lange genug bemitleidet“ u.s.w. sind nicht gerade dazu prädestiniert, sich anderen anzuvertrauen.
    Ich selbst habe Jahre und viel Zureden gebraucht, bis ich selbst mal über _meine_ Probleme gesprochen habe. Ansonsten werden es Leute wie du, Maksi, Judy etc. ebenfalls so halten, dass sie eher der zuhörende Typ sind, als selbst was loszuwerden.

    Zu deiner Situation könnte man noch so einiges schreiben, aber das hat hier glaub ich nichts zu suchen…

  10. @applejünger: ach, das ist doch auch garnicht notwendig. manchmal sind postings auch nur ventile zum dampf ablassen…. passt schon! 🙂

    @maksi: *zurückdrück* 🙂

    @coltaine: sehr schöne interpretation. und was man so noch zu meiner situation schreiben könnte, kannst du ruhig machen. auch per email 😉

  11. Jeder hat seine eigene Art mit Trauer umzugehen. Wie Meg schon erwähnte, ist es bei dir Selbstschutz. Sowas kenne ich auch. Äußerlich Stärke zeigen, während innerlich die Seele weint. Und das sind sehr wohl Emotionen. (L)

  12. Ich glaube auch, dass das ein Schutzmechanismus ist weil man denkt, man müsste sich seiner Tränen schämen. Geht mir auch so. Aber es ist schwer zu kapieren, dass man das nicht muss.

  13. @rundumkiel: ist es auch nicht, im allgemeinen gesehen. aber dann, wenn es „wichtig“ wäre, diese zu zeigen, dann ist bei mir halt schicht im schacht….

    @nila: zur falschen zeit am falschen ort… oder? 🙁

    @torsten: nee, ne scham ist es nicht, eher ne art von deplatzierter emotionen…. auch wenn es DANN genau richtig wäre… ach, keine ahnung….

  14. ich bin auch so. und ich denke, dass das eher mit dem gegenteil von emotionslosigkeit zu tun hat. denn, wenn die schleusen brechen, dann aber richtig. liebe grüße anna

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