Mikrokosmos Fußgängerampel (Gastbeitrag von @Vergraemer)

Die Hälfte meines Lebens habe ich damit verbracht, beim Duschen die richtige Wassertemperatur einzustellen. Die andere Hälfte stand ich gelangweilt an irgendwelchen gottverlassenen Fußgängerampeln herum. Wie oft habe ich in diesen Augenblicken gedacht: Wäre es nicht großartig, wenn der Mensch an Fußgängerampeln auch duschen könnte? Oder zumindest die Wartezeit damit überbrücken, dass er bereits jetzt an der richtigen Temperatur für das Duschwasser des nächsten Morgens drehen könnte?

Aber solange das nicht möglich ist, tröste ich mich damit, ein neuer Jules Verne zu sein, und unterhalte ich mich eben weiterhin mit den anderen Wartenden.

Eine der wirkungsvollsten Gesprächseröffnungen lautet dabei übrigens: „Na, Sie?“

Sehr effektiv auch: „Ist meine Nase so gut oder hören Sie häufiger, dass Sie müffeln?“

Mag Ihr Gesprächspartner noch so maulfaul sein – das Eis zwischen Ihnen ist nun gebrochen.

Heute Morgen testete ich eine dritte Gesprächseröffnung. Etwas Lateinisches:

„Kuckuck.“

Mit diesem berühmten Ausspruch Julius Cäsars trat ich an den seltsam aussehenden Herrn heran, der gedankenverloren auf das rote Männchen auf der anderen Seite der Straße starrte. Ich lächelte ihn freundlich an, wie immer hatte mein Lächeln zwar etwas Gequältes, aber der Wille zählt. Und wie man in den Wald ruft, so hallt es zurück. Dachte ich. War aber Pustekuchen.

„Och, Menno“, erwiderte der Herr  sogleich genervt, nicht halb so zuvorkommend und freundlich wie ich. „Müssen Sie mich jedesmal ansprechen, wenn wir gemeinsam an dieser Ampel stehen? Können Sie das nicht lassen? Das nervt total. Jeden Morgen diese Scheiße.“ Enttäuscht und wütend trat er gegen ein Straßenschild. Wie ein motziges Kleinkind, das seinen Willen nicht bekommt.

„Dann gehen Sie doch nach drüben, wenn Ihnen meine Freundlichkeit nicht passt. Ich bin nicht bereit, unfreundlich zu sein, nur weil dem Herrn danach ist, mich zu behandeln wie Scheiße.“

„Wie denn? Ist doch Rot.“

„Dann gehen Sie wieder dahin zurück, woher Sie gekommen sind. Tun Sie so, als sei Ihnen gerade eingefallen, dass Sie zuhause etwas vergessen haben. Hauen Sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn, murmeln Sie irgendetwas und gehen Sie weg. Jetzt stellen Sie sich doch nicht so schwerfällig an. Ich verspreche ich Ihnen: Ich merke auch nicht, dass Sie vor mir flüchten.“

„Nein, nein. Für so etwas bin ich nicht überzeugend genug.“

„Heute spreche ich Sie übrigens aus beruflichen Gründen an“, wechselte ich abrupt das Thema.

„?“

„Ich bekomme eine Million von Ihnen.“

„Im Ernst?“

„Nein. In Euro. Haha, kleiner Scherz.“

„Dann kriegen Sie keine Million von mir?“

„Ich weiß doch auch nicht“, winselte ich verzweifelt. Sie müssen wissen. Ich weiß oft nicht recht, was ich da gerade erzähle und manchmal fällt mir das mitten im Satz siedend heiß ein.

„Aber warum eine Million?“

„Steuernachzahlung.“

„Sie sind Steuerbeamter?“

„Ich glaube.“

„Und ich habe Steuerschulden?“

„Weiß mans’s?“

„So viel habe ich aber nicht bei mir. Müsste ich erst aus meinem Schwarzgeldversteck holen.“

„Na, das habe ich jetzt aber überhört.“

„Aber ich habe es doch laut und deutlich gesagt.“

„Ich bin doch von der Steuerfahndung, Sie Doofi.“

„Ach so. Stimmt ja.“

„Na, dann holen Sie mal Ihr Schwarzgeld. Aber kleiner Tipp: am besten nicht alles. Sie verstehen? Blinzel!“

„Warum sagen Sie ‚Blinzel’? Warum blinzeln Sie nicht einfach?“

„Ich schreibe zu viele alberne E-Mails. Grins! Das wirkt sich auch auf meine Alltagsaussprache aus. Also, was nun? Holen Sie Ihr Schwarzgeld oder nicht? Müssen ja nicht alles übergeben. Blinzel.“

„Sie motivieren mich zu einer Straftat auf?“

„Ich?“

„Sind Sie ein Agent Provokateur?“

„Ein was?

„Ein Agent Provokateur? Provozieren Sie regelmäßig Bürger zu Straftaten?“

„Was? Wer macht denn so was?“

„Ein Agent Provokateur.“

„Ein was?“

„Ein Agent Provokateur.“

„Nein, das kann ich ausschließen. Das sähe mir nicht ähnlich.“

„Gut, dann hole ich mal mein Schwarzgeld aus der Schweiz. Haben Sie solange Zeit?“

„Natürlich. Ist eh gerade rot. Aber kommen Sie wieder zurück. Nicht dass ich hier auf Sie warte, bis ich so schwarz bin wie Ihr Geld. Haha. Kleiner Scherz.“

„Machen Sie häufiger Scherze, für die man Ihnen den Kopf wegschießen möchte?“

„Ständig.“

„Gut, dann mache ich mich mal auf den Weg in die Schweiz. Falls ich bis morgen nicht zurück bin, rufen Sie die Polizei – und sagen Sie ihr, sie muss sich keine Sorgen um mich machen.“

„Polizei? Ich kenne keine Polizei.“

„Grüne Uniformen?“

„Sagt mir jetzt nichts.“

„Sorgt für Recht und Ordnung?“

„Recht und Ordnung? Kenne ich auch nicht.“

„Kennen Sie Lolek und Bolek?“

„Ja.“

„So ähnlich sind Recht und Ordnung.“

„Ach so. Das Produkt einer kranken Fantasie.“

„Als Anzahlung können Sie sich schon einmal an meinen Einrichtungsgegenständen schadlos halten. Ich wohne direkt hier in dem Haus hinter uns. Hier. Mein Schlüssel.“

„Ein-rich-tungs-ge-gen-stän-de! Was für ein unschön langes Wort. Haben Sie mal die Buchstaben gezählt?“

„Nein, Sie etwa?“

„Nein, ich habe Besseres zu tun.“

„Was denn?“

„Ok, ich habe nichts Besseres zu tun. Ich bin nur zu faul für so eine Scheiße. Trotzdem: Ich würde nie etwas mitnehmen, das so lang ist. Kann ich gar nicht tragen.“

„Sie müssen doch nicht das Wort tragen, Sie Doofi.“

„Doch.“

„Ach so, stimmt ja. Haha.“

„Haha.“

„Ihre Möbel würde ich nehmen. Das Wort klingt schön kurz. Die nehme ich gerne mit.“

„Ok. Dann fahre ich mal in die Schweiz, Schwarzgeldkonto auflösen. Kann ich Ihr Auto haben?“

„Das Wort ist sehr kurz. Das gebe ich nur ungern her.“

„Und Ihr Kraftfahrzeug?“

„Das können Sie haben.“

„Eine Frage noch: Ich habe Sie letztens kritisiert, ohne Ihren Namen zu nennen. Fühlten Sie sich angesprochen?“

„Nö.“

„Dann muss ich in Zukunft deutlicher werden.“

„Wo haben Sie mich denn kritisiert?“

„Möchten Sie nicht lieber wissen, warum ich Sie kritisiert habe?“

„Nein, lieber wo. Ich möchte Ihren Gemeinheiten in Zukunft bewusst aus dem Weg gehen.“

„Im Internet. Auf Twitter.“

„Ah, ok. Da werde ich mich gleich abmelden.“

„Aber Sie sagen mir Bescheid, falls Sie sich in Zukunft angesprochen fühlen? Dann kann ich mir einen Feixen.“

„Sehr gern.“

„Hoffentlich tue ich Ihnen nicht zu sehr weh.“

„Ist das nicht der Sinn der Kritik?“

„Schon. Aber ich leide unter heftigem Mitleid.“

„Auch unter Mitfreude?“

„Nein, dagegen bin ich immun. Ich lobe auch nicht. Käme nie im Leben auf die Idee.“

„Ich lobe ja auch nicht. Ich weiß nie, was ich Positives sagen könnte. Ich bin unheimlich negativ eingestellt. Ich habe es einmal probiert, aber dabei gleich 100 Unschuldige beleidigt. Nur um einen Menschen zu loben! Ist das zu glauben?“

„Sie Armer.“

„Ich hab’s ja nie anders gelernt.“

„Trotzdem: Sie Armer.“

„Oh, grün. Dann auf in die Schweiz. Schön da.“

„Ehrlich?“

„Keine Ahnung. Kenne nur Liechtenstein. Wie meine Westentasche. Wenn auch nur vom Hörensagen.“

„Wiedersehen.“

„Bis morgen“

 

Lesen Sie im zweiten Teil von Mikrokosmos Fußgängerampel: Kann die Hellseherin wirklich auf die Stunde genau voraussagen, wann Grün wird?


Vielen Dank an Jan-Uwe Fitz (@Vergraemer) für diesen wundervollen Gastbeitrag.

10 Antworten auf „Mikrokosmos Fußgängerampel (Gastbeitrag von @Vergraemer)“

  1. Hach, dass sie den Vergrämer einspannen konnten, herrlich
    Auch wenn man ihn wahrscheinlich nicht vor oder nach 9uhr loben soll. Wer weiß was man damit auslöst, aber gönnt euch sein Buch!

    Vergrämer, wenn sie das lesen, ihr Mitverschwörer Amazon hat mir ein nicht unterschriebenes Buch geschickt, ist das dann überhaupt gültig oder gar von ihnen? :-O

  2. Wunderbar – vielen danklichen Herz für ein dickes Grinsen in meinem Gesicht! Hoffentlich sieht mich dabei niemand, denn schliesslich repräsentiert man als Deutscher im Ausland ja Eigenschaften wie Ordnung, Gründlichkeit und Zuverlässlichkeit und nicht etwa Humor oder Lebensfreude!

    1. In der Tat. Wir haben als Botschafter deutscher Tugenden ein schweres Los. Ich geh zum Lachen auch immer hinters Haus. Gefeiert wird nur mit anderen Deutschen hinter verschlossenen Türen damit gar nicht erst ein falsches Bild aufkommt.

  3. Wie geil ist das denn? Aber hier auf den Kanaren muss mal rote Ampeln erstmal suchen… Und an den 20 Kreiseln, die ich von hier bis zum Bäcker bereise, ist das Gehupe dermaßen laut, dass man sich anschreien müsste 😉

  4. Herrlich, wir ahben eine Ampel die wird immer sofort rot wenn ein Fußgänger sie betätigt, auch wenn sie gerade erst wieder grün geworden ist, dann passen maximal 2 Autos durch, da kann immer nur einer was sagen so schenll geht das. 🙂

  5. ROFL….. 😀

    Lolek und Bolek *ichbrechab*

    Verehrter Herr Vergrämer, diese beiden Fremdwörter sind den meisten unserer Leser doch kein Begriff mehr? Aber: Mir doch egal!

    Grandios kranke Story, immer schön von Arschbacken auf Kuchenbacken kommen… I Love it!!! (Y)

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